Karlstadts Liebhaber der schwarzen Scheiben

Happy Birthday!
Stevie Wonders Ohrwurm könnte auch zum einjährigen Geburtstag der „Plattentruhe“ im Oktober gespielt werden. Der ganz besondere Laden in der Karlstadter Altstadt, den die Mitglieder des eigens gegründeten Vereins „33eindrittel e.V.“ nach der Abspielgeschwindigkeit von Langspielplatten benannt haben, wird rein ehrenamtlich betrieben. Die Enthusiasten im Landkreis Main-Spessart haben ihre Plattentruhe letztes Jahr mit der Absicht gegründet, die Musikkultur in Karlstadt zu fördern. Das ist bereits nach wenigen Monaten geglückt.

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Längst hat sich die ehemalige Parfümerie in der Alten Bahnhofstraße 14 zu einem Treffpunkt für Musikliebhaber entwickelt, die sich austauschen, nach dem einen oder anderen Schnäppchen suchen oder auch ganz gezielt nach einer LP, mit der sie etwa Jugenderinnerungen verbinden. Die Plattentruhe ist samstags von 10 bis 17 Uhr geöffnet und bietet neben Schallplatten und Zubehör die Möglichkeit, bei einem Getränk zu fachsimpeln.

Ehrenamtliche und ihr Herzensprojekt

Die Plattentruhe ist ein Herzensprojekt, das aus purer Leidenschaft zur Musik und dem Medium Vinyl entstanden ist. Alle Einnahmen fließen direkt in den Laden und können durch passive oder aktive Mitgliedschaft im Verein unterstützt werden. „Wir sind sehr zufrieden, wie unsere Plattentruhe angenommen wird, denn auch unseren Kunden macht es einfach Spaß“, zieht Christian Baier, Schatzmeister des Vereins, nach rund einem Jahr Bilanz.

Schallplattenfans kommen regelmäßig aus Karlstadt, Würzburg, Gemünden, Schweinfurt, Bamberg, aber auch Feriengäste aus Bad Kissingen oder Hamburg. „Der Laden trägt sich, aber nicht einer könnte davon leben“, erzählt er. „Ohne Michael Keller-May wäre es nie gegangen“, ist Baier froh, mit dem Hausbesitzer einen Musikfan und Unterstützer gefunden zu haben. Im Alltagsleben verdienen sich die 13 Leute im Laden ihr Geld etwa als Anästhesist, Erzieher, Journalist, Lichttechniker oder sind noch in der Ausbildung. Sie alle verbindet die Liebe zur Musik, zu den schwarzen Scheiben.

Die soziale Komponente spielt eine große Rolle, denn schon vorher trafen sie sich privat einmal monatlich im kleineren Kreis, um sich verschiedene Musik vorzuspielen. Jetzt bringen sie mit der Plattentruhe Gemeinschaft in die Stadt. An manchen Freitagen wird zwischen 17 und 20 Uhr der Abend unter ein Motto gestellt wie „Summer of 69“ oder „Dark Side of the Moon“.

Der warme Klang der LP

„Ich bin ein Vinylfan seit meinem elften Lebensjahr, damals habe ich mir meine allererste LP ‚Popsound 70‘ noch bei der Buchhandlung Seipt gekauft und dafür zwei Wochen Taschengeld gespart“, erinnert sich Jürgen Muck (69). Streamen war damals nicht – und auch heute möchte sich der Zellinger keine Musik aus dem Internet herunterladen.

Der Ingenieur versteht viel von Musik, war als Schlagzeuger in einigen Bands unterwegs, nennt 550 LP sein Eigen. „Ich kenne aber Leute mit 3.500 LP“, verweist er auf Sammler. „Ich habe mir vor drei Jahren einen tollen Plattenspieler gekauft mit einem hochwertigen Tonarm und -system dazu. Das ist wichtig“, betont er. Für ihn ist das analoge Signal das Beste, was es gibt, weil der Ton sauber ist. „Das ganze Digitale, also auch die CD, ist für mich kalt und gefühllos“, urteilt Muck. Der Klang der LP dagegen sei wärmer und runder. „Schallplatte hören ist für mich eine Zeremonie – ich setze mich täglich eine bis eineinhalb Stunden hin zum Hören“, verrät er.

Der 26-jährige Lorenz Hartmann stöbert ebenfalls gern in Ruhe in den Kisten im Laden. „Durch die Plattentruhe hat sich mein Horizont erweitert“, bekennt der Eußenheimer. Er hört Hiphop, Punk und Reggae mit Freunden, aber als Spross einer Musikerfamilie ist er schon immer offen gewesen für verschiedene Richtungen. Jakob Schreiner, Schriftführer im Verein ‚33eindrittel e.V.‘, ist viel pragmatischer. „Klang steht bei mir nicht an erster Stelle.“ Er kaufe bei kleinen Labels, um so Bands zu unterstützen, die damit am meisten verdienen. Weil er oft im Laden steht, kennt er viele Kunden. Denen ist das Haptische oftmals wichtig, die Plattenhülle, überhaupt das Gefühl, eine Platte in der Hand zu halten, die Wertschätzung dafür.

Und er räumt mit einer Mär auf: „Die Schallplatten waren nie weg. Weniger bekannte Bands und Labels haben durchgehend Platten veröffentlicht, und Käufer dafür gab es auch zu jeder Zeit. Nur die Allgemeinheit hat das Medium aus den Augen verloren.“

Beratungen inbegriffen

Der Karlstadter und seine Mitstreiter nehmen Platten an, prüfen, wie gut die Hülle innen und außen ist, ob Kratzer zu sehen und zu hören sind. Einsortiert werden sie in Kisten nach dem Alphabet, 60er- und 70er-Standard und auch nach Richtungen: Techno, Rock, Punk, Metalcore, Indie, Hardcore Punk, Pop, Blues, Jazz … Liebhaberstücke werden exponiert auf Regalen präsentiert. Für Stammkunden wird auch reserviert.

Ein guter Service: Es gibt eine Plattenwaschmaschine. Denn um in den vollen Genuss der Klangqualität einer Vinyl-Schallplatte zu kommen, muss diese absolut sauber sein. Ergänzt wird das Angebot durch Merchandise wie Taschen und Bandshirts, die ebenfalls auf Interesse stoßen. Und es gab sogar schon Konzerte in der Plattentruhe.

„Wer glaubt, hier wird nur Nostalgie verkauft, täuscht sich, denn mehr als die Hälfte der Platten ist neue moderne Musik.“

Um auch junge Kunden mehr auf den Geschmack zu bringen, hilft das Team bei der Technik, empfiehlt Plattenspieler oder -verstärker. Schallplatte ist hier einfach eine Lebensphilosophie.

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